Das Hoffnungswort

von Pfarrer Ulrich Clancett

Fenster Straßburger Münster (c) cc
Datum:
Di. 14. Apr. 2020
Von:
Pfarrer Ulrich Clancett

Wie bitte? Heilige Corona – bitte für uns?!

Ulrich Clancett 1.JPG (c) cc

Es gibt Sachen, die glaubst Du einfach nicht. Wenn man am PC sitzt und das Netz nach Informationen zur Pandemie durchsucht, präsentiert einem die Suchmaschine plötzlich auch eine „Heilige Corona“. Was jetzt? Gibt’s die wirklich – oder ist das wieder einer dieser typischen Corona-Witze, die derzeit ebenfalls fast wie eine Pandemie über uns hereinbrechen?

Aber warum sollte es die gute Frau nicht wirklich geben… Also: Weitergesucht. Und siehe da: Da war doch irgendwas im Hinterkopf, eine dunkle Erinnerung. Manchmal ist das eigene Gedächtnis doch irgendwie besser und zuverlässiger als vermutet. Eine dunkle Erinnerung an den Aachener Domschatz, einen Reliquienschrein, der mir wegen seiner eindrucksvollen Form haften geblieben war. Der Schatz unserer Bischofskirche, der größte und bedeutendste nördlich der Alpen, ist viel umfangreicher, als das, was die Domschatzkammer präsentieren kann. Und siehe da: In einem alten Ausstellungskatalog, taucht er auf: Der „Corona- und Leopardusschrein“. Ein altes Schwarz-Weiß-Bild. Von Dr. Birgitta Falk, der Leiterin der Domschatzkammer, ist zu erfahren, dass das gute Stück seit gut 25 Jahren im Depot steht – weil es mit seinen 95 cm Höhe und 74 cm Breite schlicht zu groß für jede Vitrine sei. Sie schickt mir ein Bild des Schreins, den ich ganz dunkel in Erinnerung habe. „Wir haben ihn gerade aus dem Depot geholt,“ mailt mir die Hüterin des Aachener Domschatzes.

996 hat Kaiser Otto III. die Reliquien der Heiligen Corona (Bild rechts: Fenster im Straßburger Münster aus 1270) und des Heiligen Leopardus nach Aachen gebracht. In der Nähe des Altares wurden sie bestattet – heute erinnert eine Bodenplatte in der Nähe des Tabernakels an diese Grabstätte. Die Reliquien in ihren Bleibehältern gerieten über die Jahrhunderte etwas in Vergessenheit – obwohl die beiden sogar als Nebenpatrone des Aachener Marienstiftes in eine prominente Position gehoben worden waren. Bei Ausgrabungsarbeiten 1910 tauchten die kleinen Bleisärge mit einigen Kilogramm Gebeinen wieder auf.

Schrein (c) GdG Jüchen

Der damalige Propst des Aachener Marienstiftes, Dr. Alfons Bellesheim (1839-1912), selbst Kirchenhistoriker, besorgt die Mittel und lässt den Aachener Goldschmied Bernhard Witte 1912 den prächtigen Schrein in Form eines romanischen Kuppel-Reliquiars anfertigen. Mit kostbaren Emaille-Arbeiten, in Goldblech getriebenen Relief-Bildern, filigranen Stanzungen und 375 Edel- und Halbedelsteinen stellt das Werk eines der bedeutendsten Zeugnisse des Historismus in der Goldschmiedekunst dar. Der Schrein stand übrigens schon bald zur Säuberung / Restaurierung an, da er ohnehin im Sommer im Rahmen einer Ausstellung gezeigt werden sollte. Das wird nun vorgezogen: Luke Jonathan Koeppe, Restaurator im Team der Domschatzkammer, (Bild links, gemeinsam mit Birgitta Falk, Leiterin der Aachener Domschatzkammer) arbeitet derzeit mit viel Fingerspitzengefühl an der Säuberung und Restaurierung des Schreins. Und für seine Chefin Birgitta Falk ist klar: „Wir werden das kostbare Stück sofort nach Ende der Corona-Krise, wenn wir die Schatzkammer wieder zur Besichtigung öffnen können, dort ausstellen.“
Was nun die „Aachener“ Corona mit dem Corona-Virus zu tun hat? – Eigentlich nichts – auf den ersten Blick. Außer dem Namen vielleicht. Die Heilige hat ihn bekommen, weil sie die „Krone des Martyriums“ empfangen hat, also für ihren Glauben an Jesus Christus gestorben ist. „Corona“ ist lateinisch und heißt auf deutsch „Krone“. Das Virus ist so benannt, weil es unter dem Elektronen-Mikroskop so ähnlich aussieht wie eine Krone. Das wär’s eigentlich. Beim näheren Hinsehen zeigen sich aber dann doch schon einige Verbindungen. Corona wird als Schutzpatronin gegen Seuchen angerufen…

Wer aber war diese Frau? Wir wissen nicht wirklich viel über die heilige Corona (die übrigens auch immer wieder einmal „Stephan(i)a“ genannt wird).

Die heilige Corona (* um 160 in Ägypten oder Syrien; † 177) soll eine frühchristliche Märtyrin gewesen sein. Sie ist nach katholischer Betrachtung die Patronin des Geldes, der Fleischer und Schatzgräber. Das Patronat in Geldangelegenheiten verdanke sie ihrem Namen, der zu deutsch „Krone“ bedeutet, eine Bezeichnung auch für verschiedene Währungen. Ihr Gedenktag im Heiligenkalender ist der 14. Mai. Im österreichisch-bayrisch-böhmischen Raum gab (und gibt es teils bis heute noch) eine ausgeprägte Corona-Verehrung. Einige Orte tragen ihren Namen. Im mittelalterlichen Dom zu Bremen, der schon 965 Reliquien der syrischen Märtyrerin bekam, gab es eine große Wallfahrt zur Hl. Corona, an die Pilgerabzeichen aus dem 15. Jahrhundert erinnern.

Der Überlieferung zufolge soll Corona zur Zeit der Christenverfolgungen das Martyrium im Alter von 16 Jahren gemeinsam mit dem ebenfalls heiliggesprochenen Soldaten Victor von
Siena erlitten haben. Während dieser gemartert wurde, soll die als Braut eines seiner Kameraden vermutete Corona ihn getröstet und ermutigt haben. Aus diesem Grund sei sie verhaftet und verhört worden. Schließlich soll sie von ihren Peinigern zwischen zwei herabgebogenen Palmen gebunden und beim Emporschnellen der beiden Palmen zerrissen worden sein. Victor soll enthauptet worden sein. Andere Quellen berichten, dass Corona Victors Ehefrau gewesen sei.

Vielleicht ist das der eigentliche Grund der Beziehung, die zwischen der heiligen Corona und der Corona-Krise festzustellen ist: Corona wurde in ihrem grausamen Martyrium zwischen zwei Palmen zerrissen.

Wie oft standen Menschen in der aktuellen Krise davor, förmlich zerrissen zu werden? Politiker, die weitreichende Entscheidungen zu treffen hatten, Menschen, die zwischen Leben und Tod hin- und hergerissen sind. Menschen, denen es angesichts der Zustände vor ihren Augen (wie im besonders gebeutelten Italien) das Herz zerreißt…

Vielleicht hilft uns diese frühchristliche Märtyrerin bei der Bewältigung der aktuellen Krisen-Situation – indem wir an all‘ die Zerrissenheiten bei den Menschen denken, die unter der Corona-Krise leiden und oft genug auch zugrunde zugehen drohen.
In diesem Sinne: Heilige Corona – bitte für uns!