Die Pfarrkirche St. Martinus zu Jüchen-Gierath

Patronatsfest: 11. November
Kirchweihe: 27. August 1861

Vom Vorgängerbau der heutigen Gierather Martinuskirche gibt es eine Abbildung aus dem 19. Jahrhundert. Prägnantes Merkmal dieser Kirche ist ein massiver, eingezogener Westturm, der (romanischen Stils) vermutlich aus dem 13. Jahrhundert stammt. Die anderen Teile der alten Kirche (Langhaus und Chor) stammten aus dem 15./16. Jahrhundert. Dechant Giersberg beschreibt das alte Gierather Gotteshaus als „altes, enges, morsches Kirchlein“. Zuletzt hatte ein schweres Sommerunwetter am 07. August 1705 dafür gesorgt, dass der Turmhelm „ganz eingeschlagen (wurde) und zerquetschte den Chor und die Sacristei bis auf den Grund“, wie es im Gierather Kirchenbuch nachzulesen ist. Seither fristete das Kirchlein ein trauriges, ruinenhaftes Dasein: So musste bei feierlichen Gelegenheiten der Katharinen-Altar als Kanzel dienen, den der Prediger dann mit Hilfe des Chorstuhles bestieg. Wiederholte, schwere Einbrüche sorgten zudem zwischen 1739 und 1834 dafür, dass so manches alte Ausstattungsstück für immer verschwand. 1780/90 sollte zwar das Jülicher Kapitel, das die Baulast zu tragen hatte, eine neue Kirche in Gierath bauen. Durch die Rührigkeit der Allrather Christen wurde dieses Projekt zugunsten einer neuen Kirche dort immer wieder verschoben, bis schließlich die einmarschierenden Franzosen die Verhältnisse komplett umwarfen und das Neubauprojekt endgültig vereitelten. Im Jahre 1852 wurde ein weiterer Anlauf zur Errichtung einer neuen Kirche in Gierath gemacht, doch auch jetzt war die Initiative nicht stark genug – insbesondere an der Finanzierung scheiterte dieser Anlauf. Nach dem Tod des Ackerers Johann Hoven jedoch, der die Kirche zur Universalerbin eingesetzt hatte, kam neuer Schwung in die Sache. Auf Antrag des damaligen Pfarrers Anton Josef Kolvenbach ein Jahr nach seinem Amtsantritt in Gierath beschloss der Kirchenvorstand am 16. Oktober 1859 den Neubau der Pfarrkirche nach Planungen des Kölner Dombaumeisters Vinzenz Statz, die dieser für den Neubau einer Kirche in Düsseldorf-Volmerswerth erstellt hatte.

Am 03. Juni 1860 endlich wurde in der alten Gierather Pfarrkirche der letzte Gottesdienst gefeiert; die Schule wurde zur Notkirche für die Bauzeit hergerichtet, und schon am 03. Juli 1860 wurde der Grundstein für die neue Kirche gelegt. Der Bau schritt zügig voran, und schon am 27. August 1861 konnte der Kölner Weihbischof Johann Anton Friedrich Baudri die Weihe der Kirche vornehmen.

1937 erfuhr die Gierather Martinuskirche eine Erweiterung um zwei Seitenschiffe durch die Architekten Hintzen und Günther. Instandsetzungen gab es 1951, 1977 und 1999.

Ein Rundgang durch die Kirche

Betritt man die Kirche durch das Hauptportal, stößt man gleich in einer Nische der Turmkapelle auf eine barocke Pietá aus dem 18. Jahrhundert. Sie zählt zu den ganz wenigen Ausstattungsstücken, die aus der alten Kirche übernommen wurden. Das lag aber nicht daran, dass alles andere in einem mehr oder weniger maroden Zustand war. Vielmehr war am Tage nach dem letzten Gottesdienst im Juni 1860 die gesamte Kirche auf Abbruch versteigert worden, um weitere Mittel für den Neubau erlösen zu können.

Am Beginn des Mittelgangs ist das Taufbecken zu sehen, das um 1860 für die neue Kirche in neugotischen Formen aus Blaustein gearbeitet wurde, versehen mit einem Messingdeckel.

An der ersten Säule auf der linken Seite ist ein Schmerzensmann (zweite Hälfte 19. Jahrhundert) zu sehen. Rechts eine Darstellung des Auferstandenen aus den 80er Jahren des 20. Jahrhunderts.

An der zweiten Säule links eine neo-barocke Darstellung des Hl. Christophorus aus den 80er Jahren des 20. Jahrhunderts. Rechts eine reichgefasste Holzstatue des Hl. Joseph aus der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts.
In die Wände eingelassen der 14teilige Kreuzweg, eine qualitätvolle Sandstein-Arbeit des Aachener Bildhauers Chorée, seit 1885 entstanden.

Beherrscht wird der Altarraum vom Hochaltar aus etwa 1870, dessen filigraner Aufbau über der steinernen Mensa in einer vierseitigen, von vier Engeln flankierten Fiale endet. Der Zelebrationsaltar, ein hölzernes Provisorium, stand ursprünglich als Seitenaltar im nahen Nikolauskloster und ersetzt eine wenig ansehnliche Beton-Konstruktion der 60er Jahre des 20. Jahrhunderts. In dieser Zeit verschwanden nach und nach Ausstattungsstücke wie Marienaltar, Kommunionbänke und Kanzel aus der Kirche. Später trat an Stelle des Marienaltars eine frei an der Wand aufgehängte Madonna mit Kind aus dem 19. Jahrhundert, die von einem medaillonbesetzten Kranz aus den 80er Jahren des 20. Jahrhunderts nach Art des „Englischen Grußes“ von Veit Stoß (St. Lorenz, Nürnberg) umgeben wird. In den Medaillons sind Szenen aus dem Leben der Gottesmutter dargestellt. Von oben im Uhrzeigersinn: Verkündigung durch den Engel; Maria besucht Elisabeth; Geburt Christi; Anbetung der Könige; Tod Mariens.
Erhalten sind die qualitätvollen Buntglasfenster von Hertel & Lersch (Düsseldorf) aus 1891 im Chorraum und um 1900 im Querhaus. Auf der linken Seite des Chorraums eine Darstellung der Hl. Katharina, der Nebenpatronin der Pfarrkirche; daneben die Gottesmutter Maria; über den beiden Fenstern ein Engel, der ein Spruchband hält: „Ave Maria, gratia plena! (Gegrüßet seist du, Maria, voll der Gnade!)“. Das mittlere der Chorfenster bildet mit seinen leuchtenden Farbornamenten einen reizvollen Hintergrund zur durchbrochenen Form des Hochaltares. Bekrönt wird die ornamentale Darstellung von einem Bildnis des heiligsten Herzens Jesu. Er, der Erlöser, zeigt dem Betrachter sein Herz und verdeutlicht so noch einmal die grenzenlose Liebe, die er ihm zuteil werden lässt im Kreuzesopfer, das auf dem unten liegenden Altar für eben den Betrachter gegenwärtig wird. Rechts sind der Hl. Joseph (Namenspatron des Erbauers der Kirche, Pfarrer Kolvenbach) sowie der Pfarrpatron, der Hl. Martin, zu sehen. Martin wird allerdings nicht in der bekannten, volkstümlichen Weise in der Szene der Mantelteilung dargestellt. Hier erscheint er als Bischof und Gründer des nach ihm benannten Klosters im französischen Tours. Hier, an dieser Stelle steht unmittelbar neben dem Allerheiligsten nicht der soeben bekehrte, römische Soldat, sondern der im Glauben gereifte Christ und Bischof, der in der Gründung des Klosters dem Betrachter ein Beispiel für konkret weitergegebenen Glauben gibt. Über den beiden Heiligen eine Engelsgestalt, wiederum mit einem Spruchband: „Laudate Dominum in sanctis eius. (Lobt den Herrn in seinen Heiligen.)“ Die Heiligen umstehen in unmittelbarer Nähe den Ort des eucharistischen Opfers, das von zwei Engeln (in den Fenstern über den beiden Sakristeitüren) musikalisch begleitet wird.

Das Fenster im nördlichen (linken) Querhaus zeigt eine nicht biblische Szene aus dem Leben der jungen Gottesmutter Maria. Sie wird mit ihren legendären (in apokryphen Evangelien) genannten Eltern Anna und Joachim dargestellt. Während Joachim, ein Tempelpriester (dafür steht auch das Buch, das er hält) nachdenklich dreinschaut, kniet das Mädchen Maria vor ihrer Mutter, die ihr aus den Schriften vorliest. Darunter eben auch die Prophezeiungen des Alten Bundes, die aus Sicht des Neuen Bundes mit Maria und ihrer Gottesmutterschaft in Verbindung gebracht werden. Anna fungiert hier also als Prototyp der Mutter, die ihrem Kind den Glauben an Gott nahebringt, von ihm erzählt. Im Hintergrund ist die eben erblühende Wurzel Jesse zu erkennen, die aus dem Alten Bund heraus symbolisch die Herkunft Jesu nachvollzieht. Nettes Detail Joachim zu Füßen: Zwei Hasen. Sie stehen als Symbol der Furchtsamkeit im Zusammenhang mit ihm. Joachim ist furchtsam und vertraut sich darin ganz Gott an.
Das Fenster im südlichen (rechten) Querhaus zeigt eine liebenswerte Szene aus dem Leben des jungen Jesus. Links ist Joseph, der Zimmermann bei seiner Arbeit zu sehen; Jesus geht ihm dabei zur Hand, während auf der rechten Seite Maria am Spinnrad sitzt. Im Hintergrund ist eine befestigte Stadt zu erkennen – Jerusalem, das als düstere Vorahnung auf Jesu Leidensweg in einem dunklen Blau hinweist. Vier Engelsgestalten helfen bei der Arbeit, sei es als freundliche Musikanten oder aber (wie der linke Engel) als Handlanger, indem dieser Joseph sein Winkelmaß hält.

Bemerkenswert an diesem wie auch an dem gegenüberliegenden Fenster im südlichen (rechten) Querhaus ist die Tatsache, dass sie unmittelbar über der bildlichen Darstellung die Architektur enden lassen und in den Himmel übergehen. Die bildlichen Darstellungen zeigen dem Betrachter, dass sie sehr viel mit ihm auf der Erde zu tun haben, also keine abgehobenen Phantasiegeschichten darstellen, sondern gewissermaßen als Bindeglied zum Himmel fungieren sollen.

Ein wahres Prachtstück der Gierather Martinuskirche ist die Orgel. Mit ihrem reichgeschnitzten, fünfteiligen neugotischen Prospekt wurde sie 1875 von Martin Schorn erbaut. 1983 wurde sie von der Hellenthaler Orgelbaufirma Weimbs restauriert. Sie verfügt über 15 Register und eine vollmechanische Traktur. Auf der Orgelbühne eine Statue der Hl. Cäcilia, Schutzpatronin der Kirchenmusik, eine Neubeschaffung aus den 80er Jahren des 20. Jahrhunderts.

Im Eingang Pfarrhausseite steht ein (wohl in den 60er Jahren verstümmelter) Altar, der das Bild der „Mutter von der Immerwährenden Hilfe“ birgt. Dieses Bild ist eine Reproduktion des Originalbildes, die um 1900 in Rom gefertigt wurde. Das Originalbild befindet sich in der römischen Kirche S. Alfonso an der Via Merulana. Dort wird es seit vielen Jahrhunderten sehr verehrt. Ende des 19. Jahrhunderts fand das Bild in zahlreichen Reproduktionen weltweite Verbreitung, die seinerzeit durch Papst Pius IX. stark gefördert wurde.

Im Turm der Kirche hängen vier Glocken: Ton h’ aus 1936; Töne fis’ und a’ aus 1962 sowie Ton cis’’ aus 1980

Kirche St. Martin Gierath

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